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Zur Übersetzung

Zur Einführung: Die Form wahren - vom Wesen chinesischer Lyrik
Zur Übersetzung chinesischer Gedichte

Die folgenden Gedichte sind alle aus dem chinesischen Originaltext übersetzt, so wörtlich wie möglich.

Die Qualität eines klassischen chinesischen Gedichtes definiert sich weniger durch den Inhalt als durch die Form. Alte chinesische Gedichte sind nämlich nach einem strengen Bauschema verfasst. Entspricht ein Gedicht diesem Schema möglichst exakt, ist es ein (in den Augen der Chinesen) gutes Gedicht. Dies zu berücksichtigen, ist auch Aufgabe der Übersetzung. Absicht meiner Übersetzungstechnik ist deshalb, die Form des chinesischen Gedichts möglichst genau nachzuempfinden.

Es gibt sog. 5-Wort- oder 7-Wort-Gedichte. Dabei besteht jeder Vers aus 5 bzw. 7 Zeichen. Ein Vers ist immer nach dem Schema xx(xx) xxx aufgebaut, d.h. es besteht eine grammatikalische und inhaltliche Zäsur nach dem 2. Wort (beim 5-Wort-Gedicht) oder nach dem 4. Wort (beim 7-Wort-Gedicht). Dieses Schema wurde in der Übersetzung berücksichtigt und durch einen Zeilenumbruch verdeutlicht. Die durch das Versschema entstehende Rhythmik des Gedichtes wurde möglichst beibehalten, indem jedem Zeichen eine betonte Silbe in der Übersetzung entspricht. Nicht in jedem Fall gelingt dies.

Die Verse sind meistens paarweise parallel gebaut, sowohl von der grammatikalischen wie von der inhaltlichen Struktur her. Dies wurde bei der Übersetzung berücksichtigt. Das strenge Reimschema der chinesischen Gedichte, die sich jeweils nur auf ein Wort reimen, kann in der deutschen Sprache kaum nachvollzogen werden. Ich habe mich dennoch um ein durchgehendes Reimschema bemüht und konnte dies in den meisten Übersetzungen umsetzen, ohne dass die Wörtlichkeit der Übertragung zu kurz kommt.

Insgesamt hat bei der Übersetzung die Bemühung im Vordergrund gestanden, die knappe sprachliche Form des chinesischen Gedichts, die viel Raum für Phantasie lässt, nicht durch zahlreiche Hinzufügungen zu zerstören. Es sollten eingedeutschte chinesische Gedichte entstehen und nicht deutsche Gedichte nach chinesischen Motiven.

Die Chinesen schreiben nicht blumig und schwülstig, nicht sentimental und verniedlichend, sondern knapp und nüchtern. Es liegt in der Natur ihrer Schrift, dass sich die Stimmung der Situation, die Doppelbödigkeit des Sinns und Gefühlsregungen beim Leser aufbauen können, ohne dass dies exakt gesagt wird. Bei chinesischen Schriftzeichen schwingen neben der eigentlichen Bedeutung immer zahlreiche „Obertöne“ mit, die der Leser kennt, ganz zu schweigen von den zahlreichen literarischen Anspielungen und verkappten Zitaten, die die Chinesen sehr gerne verwenden. Dieser Umstand hat viele Übersetzer dazu verleitet, diese Obertöne mitzuübersetzen. Entstanden sind dabei eher Nachdichtungen denn Übersetzungen. Es werden zahlreiche Worte hinzugefügt, die im Original überhaupt nicht stehen und die den Sinn blumig umschreiben, den der Übersetzer zu sehen glaubt. Stimmungen werden nicht wie im Chinesischen angedeutet, sondern bis ins Kleinste ausformuliert. Dieser Nachdichtungstechnik bedienten sich nicht nur interessierte Laien wie Hans Bethge und Klabund (die kein Chinesisch konnten), sondern auch sinologische Fachleute. Häufig wird dabei eine vermeintlich poetische Sprache gewählt, die das Gedicht lyrisch überhöhen soll. Das lässt das Original zwar zu, ob es dem Gedicht dient, steht aber auf einem anderen Blatt. Man vergleiche nur einmal die beiden möglichen (und richtigen) Übersetzungen eines Verses: „Auf der dunklen Föhre Wipfel ein Vögelein zwitschert so hold“ oder „Auf der Spitze der Kiefer sitzt ein Vogel und singt“.

Ich habe mich ausdrücklich darum bemüht, die „Obertöne“ des Originals stehen zu lassen. Ich habe deshalb auch im Deutschen absichtlich eine knappe, nüchterne und unsentimentale Sprache gewählt, die zwar ein Bild aufbaut, aber nicht gleich die Interpretation mitliefert. Die so übertragenen Gedichte sollen einen echt chinesischen Reiz behalten. Ob dies gelungen ist, mag der Leser entscheiden.